schenkkreise, pilotenspiele - wachsamkeit




  Schenkkreise
Schenkkreisveranstaltung im Tempel

Eine Einladung zu einem Treffen für
Menschen, die spirituelle Projekte pla-
nen oder fördern. Ort des Treffens: ein
tibetischer Tempel in München.

Gute Idee! Das ist doch eine sehr
erfreuliche Nachricht. Ich war sehr
gespannt, was spirituelle Projekte sind
und ob mein Projekt dort Platz findet. Im
ausgebauten Speicher eines Mehr-
familienhauses in München fand ich
schließlich den Tempel. Ich war be-
geistert. Ein wunderschöner Tempel.

Mein Projekt ist auch spirituell, das
passt gut, außerdem beruhigte mich
ein Blick auf ein paar Pfauenfedern, die
beim Altar standen. Darüber ein
riesiges Porträt des Dalai Lama.
Mindestens 20 Frauen und Männer
waren schon im Tempel versammelt
und es kamen ständig mehr dazu. Ich
war plötzlich schrecklich nervös und
fühlte mich fehl am Platz. Das ist ja
meine erste Erfahrung in einem
Münchener Tibet- Tempel, besänftigte
ich mich. Eigentlich sollten Tempel ja
ein Ort der Ruhe, Kraft und Stille sein,
doch davon spürte ich nichts.

Lange hatte ich nicht Zeit, über diese
seltsame, sich in mir immer mehr
ausbreitende Unruhe nachzudenken,
denn schnell war ich umringt von ein
paar eleganten Damen, die mich mit
Fragen bombardierten. Wir waren
gleich per Du, jede stellte sich mir vor,
nur mit Vornamen, dafür aber mit umso
ausführlicheren Beschreibungen ihres
Berufs. Viele Unternehmens-, Lebens-
und sonstige Beraterinnen. Eine Frau
beschäftigte sich intensiv mit mir,
indem sie mir ein paar sehr indiskrete
Fragen zu meinem Beruf und meinen
Einkommensverhältnissen stellte. Das
ist wohl die persönliche Macke einer
Feng Shui Beraterin, um Menschen
kennen zu lernen, dachte ich da noch.

Die Vorstellung begann, alle setzten
sich im großen Kreis auf den Boden,
inzwischen waren es mindestens 40
Menschen. Ich wollte mich sammeln
für eine Meditation, doch dafür war
keine Zeit. Der Anführer hielt eine
Rede, in der er von „einem besonders
hoch Erleuchteten“ sprach, dem sie
gerne ein „wunderschönes Haus,
umgeben von einem wunderbaren
Grundstück mit altem Baumbestand,
auf einem Kraftplatz“ kaufen wollten.
Er wirkte wie ein Immobilienmakler
und war extra aus Frankfurt angereist.
Er berichtete von noch einigen Pro-
jekten dieser Art, alles in ehrfürchti-
gem Tonfall.

Die Spannung im Tempel stieg, ich
konnte schon fast nicht mehr atmen.
Ich suchte Blickkontakt mit dem Dalai
Lama Porträt und beruhigte mich
etwas. Alles nur Maya. Der Reihe nach
begannen dann die Teilnehmer, von
ihren Projekten zu berichten.

Dann war ich an der Reihe: „Ich baue
Meditationsplätze, die ich Pfauen-
augen nenne. Ich glaube, Menschen,
die meditieren, sind freier, unab-
hängiger, liebevoller und nicht so
leicht zu manipulieren. Mehr solche
Menschen sind, glaube ich, der beste
Weg, um Kriege, die Ausbeutung
dieses Planeten und die Missachtung
von Menschenrechten zu verhindern.
Deshalb lege ich Pfauenaugen und
mache damit Werbung für Meditation.
Ich habe aber das Gefühl, hier falsch
zu sein, denn mein Projekt hat mit
Geld nichts zu tun.“

„Das ist der Irrtum der Spirituellen!“
tönte es aus der Runde. „Spirituelle
Menschen brauchen auch Geld“,
erklärte mir daraufhin der Organisator
der Runde, die sich Schenkkreis
nannte. „Das ist ja der gleiche Mist wie
vor 20 Jahren dieses Pilotenspiel“, rief
ich, „was soll daran spirituell sein?“,
versuchte ich zu schreien, doch vor
Empörung krächzte ich wohl eher.
„Sie ist wieder mal ein Beispiel dafür,
dass spirituelle Menschen oft nicht die
Füße auf dem Boden haben“, erklärte
der Mann der Runde. Ich war so
wütend, dass ich mich versprach: „Ihr
habt ja alle keinen Boden auf den
Füßen!“ gab ich zurück, stand auf und
ging. Vor der Tür merkte ich, dass ich
meinen Rucksack vergessen hatte
und ging noch mal rein.
„Ich meinte natürlich, ihr habt alle zu-
sammen die Füße nicht auf dem Bo-
den!“ korrigierte ich und verabschie-dete mich noch mal, diesmal endgültig.

Eigentlich ist diese Runde noch
wesentlich besser organisiert als
damals das Pilotenspiel, denn diese
Typen schaffen es sogar noch, das
Geld, das ja hin und wieder jemand
bekommt, wieder in ihre eigenen
Taschen zu befördern, indem sie
gleich einen Sack voller erleuchteter
Projekte anbieten, in die die Teil-
nehmer dann investieren sollen.
Scheinheilige gibt es in allen Be-
reichen und Händler in Tempeln
haben ja auch eine uralte Tradition.
Danke für diese Einladung, ich wusste
nicht, dass es rückblickend sogar
Spaß macht, Tempelhändler zu
beschimpfen. Ich werde noch an
meiner Stimmkraft arbeiten, damit ihr
nächstes Mal geht und nicht ich.


Ingrid Huch-Hallwachs





     In der Psychoanalyse trifft der
Therapeut oft auf Widerstand, das ist
der Versuch des Patienten, eigene
unangenehme Gefühle oder Impulse
nicht zuzulassen, eben zu verdrängen.
Er kontrolliert sein Unbewusstes und
versucht so, nur das in die Außenwelt
gelangen zu lassen, was das eigene
Selbstbild schützt und bestätigt.

Als wärst du dein eigener Analytiker,
stößt du in der Meditation auf deinen
eigenen Widerstand, den deine
Vorstellung von dem, wie du denkst,
wer du sein solltest, geschaffen hat.
Jetzt kannst du versuchen, dein eigener
Therapeut zu sein. Ganz für dich kannst
du jetzt einen Blick hinter deine
Fassade werfen, und so erkennst du
immer mehr, wie du bist. Und so, wie
du bist, darfst du sein.
Tat tvam asi – das bist du.

Wenn du der Ansicht bist, du kannst
dich irgendwo „ hineinfühlen“, dann
überprüfe erst einmal, ob es sein
könnte, dass dein Widerstand gerade
deine Gefühle benutzt. Ich selbst war
zum Beispiel jahrelang überzeugter
Raucher. Wenn ich in mich
„hineinspürte“, teilten mir meine
Gefühle mit: „ Rauch weiter, so eine
Zigarette fühlt sich gut an, sie beruhigt
dich.“ Deshalb musste ich, um mit dem
Rauchen aufzuhören, auch meinen
Verstand mit einbeziehen, der mir
sagte: „Höre auf damit. Zigaretten
stinken, sind teuer, machen abhängig,
rauben dir wie alle Süchte nur deine
Freiheit. Probiere doch einmal aus, wie
es sich anfühlt, wenn du deine Sucht
überwindest.“
Fazit: Verlasse dich auf deine Gefühle,
aber überprüfe erst mit deinem
Verstand, ob diese Gefühle echt sind
und nicht Diener einer Sucht. Und es
gibt viele Süchte. Die Sucht nach
Anerkennung, nach Macht, nach Liebe,
nach Geld ...
Wenn dich irgendeine dieser Süchte in
einen Schenkkreis getrieben hat, dann
nütze diese Erfahrung, um wieder eine
Vorstellung von dir selbst fallen zu
lassen. So kommst du dir selbst immer
näher, Schritt für Schritt, denn alles,
was du von dir kennst, verliert seine
Macht über dich.


Ingrid Huch- Hallwachs


"Spiritualität macht frei"

(Pir Vilayat Inayat Khan)
 




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