gefuehle - das salz des lebens




 

Frühlingsgefühle



Zorn
Oder: Ein Baum kann sich nicht
wehren

Donnerstag. Ich muss raus. Raus aus
meiner gemütlichen, warmen
Wohnung. Zur Schule, meine Tochter
abholen. Rituale, immer wieder das
Gleiche tun.
Vor der Tür erst mal blankes
Entsetzen. Irgendwer hat die Bäume
im Hof gefällt. Alle tot!!!
Dieser Hausbesitzer, ich hasse ihn.
Ich bin so wütend und traurig und mir
so meiner Ohnmacht bewusst, ich
könnte schreien vor Zorn, ich könnte
zum Terroristen werden.
Erst mal wieder atmen, zurück in die
Gegenwart kommen, mir verzeihen,
dass ich sie nicht retten konnte. Denn
diese ohnmächtige Wut ist nicht nur
die Wut, die auf diese Situation folgt,
nein dass ist schon eine tiefere Wut,
die da in mir schlummert.
Assoziationen an Wackersdorf, an
Tschernobyl, den Flughafenbau im
Erdinger Moos, ...
Ich muss doch was tun. Aber was?
Soll ich kämpfen wie Jesus, soll ich
auch die andere Wange hinhalten,
wenn mich jemand schlägt? Soll ich
vielleicht diesem Hausbesitzer meine
mir so ans Herz gewachsenen
Zimmerpflanzen entwurzelt vor die Tür
legen? Eine gute Idee, aber nur
theoretisch, nicht so gut für meine
Zimmerpflanzen. Zornig stapfe ich los
Richtung U-Bahn. Ich fühle mich
machtlos wie ein Kind.
Fühlt sich ein Kind eigentlich
machtlos?
Ich erinnere mich an eine Zeit aus
meiner Kindheit. Ich sehe vor mir
einen schmalen Weg, grade so breit
wie ein Auto.
Links von diesem Weg der Garten
meiner Großtante und meines
Großonkels. Eine bunte Blumenwiese,
dazwischen Obstbäume,
Brennnesseln, kleine Inseln mit
Gemüse und Schnittblumen, kleine
Wasserbecken zum Trinken für die
Tauben. Irgendwo in diesem Garten
war immer jemand beschäftigt, mit
pflanzen oder ernten oder spielen. Und
die Katze versuchte Schmetterlinge zu
fangen.

Rechts von diesem Weg der
Nachbargarten. Englischer Rasen, die
Rosensträucher in Reih und Glied. Am
Wochenende übertönte der
Rasenmäher das Vogelgezwitscher.
Hin und wieder verkleidete sich der
Nachbar und machte die Runde mit
einer Gasflasche auf seinem Rücken
und bespritzte seine Rosen.
Trotz dieser so offensichtlichen
Unterschiede waren diese Nachbarn
befreundet. Niemand kam auf den
Gedanken, einen Zaun um sein
Grundstück zu bauen. Ich als Kind
sprang zwischen diesen Gärten und
diesen Menschen immer hin und her,
ich fühlte mich bei den Nachbarn
genauso zuhause wie bei meinen
Verwandten. Ob jetzt einer dieser
Gärten schöner oder besser oder
gesünder ist, solche Gedanken
machte ich mir nicht. Und ich glaube,
diese Erwachsenen auch nicht. Es
machte einfach jeder, was für ihn
schön und richtig war.
Doch wenn ich als Kind Blumen
pflückte, achtete ich immer darauf,
nicht zu viele von einer Stelle zu
nehmen. Ich wollte dass man es nicht
sieht, wenn ich der Natur etwas
wegnahm. Nur genug pflücken um mir
oder anderen Menschen eine Freude
zu machen, nicht mehr und keine
seltenen.

Noch letzten Sommer pflückte ich
manchmal einen kleinen Zweig von
dem großen Jasminstrauch im
Hinterhof. Immer grade so viel, dass
ich mich an seinem Duft berauschen
konnte, auf meinem Weg in die Stadt.
Und jedes Mal, wenn ich an dem Baum
vorbeiging war ich ihm dankbar.
Ich habe versagt, ich habe nicht damit
gerechnet, dass dieser Riesenstrauch
in Gefahr war. Vielleicht hätte ich ihn
retten können und auch die anderen
Bäume im Hof.

                          Ingrid Huch-Hallwachs

Frühlingsgefühle

Heute ist ein ko(s)mischer Tag.
Irgendwie fühle ich mich verlassen.
Dieses Gefühl könnte ich nützen, um
mehr über mich zu erfahren.
Wie oft stand ich als Kind vor
verschlossenen Türen?
Ich sollte die Gelegenheit nutzen, sollte
in dieses Gefühl hineinmeditieren.
Doch mein samtblaues Meditations-
kissen hat für mich fast die Ausstrahlung
eines elektrischen Stuhls.
Ich weiß, jetzt erst recht.
Ich setze mich, versuche irgendeine
Übung, es geht nicht.
Ich stehe auf und lege mich wieder ins
Bett.
Vielleicht brauche ich einen Traum?
Doch ich schlafe nicht, träume nicht,
sondern langweile mich mit mir selbst,
als wäre ich hier noch als eine andere
Person, die mich nicht in Ruhe lässt und
mich anödet.
Am besten rausgehen.
Draußen scheint die Sonne, ein warmer
Frühlingswind umschmeichelt mich.
Und das im Januar!
Wie wunderbar!
Eine rote Ampel – ich muss stehen
Der Wind durchdringt mich, ich bin
schon ganz leicht.
Ich fühle mich eins mit der Luft. Jetzt
spüre ich, dass alles zum allergrößten
Teil aus dem Nichts besteht. Aus dem
Nichts, das immer und überall ist,
niemand allein lässt und alles gedeihen
lässt. Die Zwischenräume der Atome
meines Körpers öffnen sich für den
Frühlingswind.
Nur was ich festhalten will, bleibt auch
bei mir. Alles andere schenke ich dem
Wind.
Die Ampel wird grün – ich muss gehen.


„Zu fällen einen schönen Baum,
braucht`s eine halbe Stunde kaum –
zu wachsen, bis man ihn bewundert,
braucht er, bedenkt es, ein Jahrhundert!“

(Eugen Roth)









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